Was sind Anti-Nephrin-Antikörper und welche Rolle spielen sie bei chronischen Nierenerkrankungen?
Anti-Nephrin-Antikörper sind Eiweiße, die die Filterbarriere der Nieren angreifen. Bei bestimmten chronischen Nierenkrankheiten spielen sie eine Rolle. In diesem Beitrag erfährst Du, welche neuen Forschungserkenntnisse es gibt und wie sie sich auf die Entwicklung neuer Behandlungsansätze auswirken können.
01. Was sind Podozytopathien?
Unter dem Begriff Podozytopathien werden Erkrankungen zusammengefasst, bei denen bestimmte Zellen in den Nieren – die sogenannten Podozyten – geschädigt werden. Zu den Podozytopathien zählen etwa die Minimal Change Disease (MCD) und die fokal segmentale Glomerulosklerose (FSGS). Auch das idiopathische nephrotische Syndrom des Kindesalters, bei dem zumeist keine Nierenbiopsie durchgeführt wird, gehört zu den Podozytopathien. Die Podozyten sind als spezialisierte Zellen entscheidend für die Filterfunktion der Nieren. Sie bilden die Blut-Harn-Schranke und verhindern, dass große Moleküle wie Eiweiße in den Urin gelangen. Bei Podozytopathien kommt es zu einer Schädigung der Podozyten. Das kann zu einem übermäßigen Eiweißverlust über den Urin führen. Bis heute ist noch nicht abschließend geklärt, welche genauen Mechanismen zur Schädigung der Podozyten führen. Auch der Einfluss von verschiedenen Autoimmunreaktionen – also Reaktionen des Abwehrsystems gegen eigene Zellen oder eigenes Gewebe – oder genetischen Faktoren ist bis heute noch nicht eindeutig verstanden.
02. Was sind Nephrin und Anti-Nephrin-Antikörper?
Nephrin ist ein wichtiges Eiweiß in den Podozyten. Unter normalen Bedingungen sorgen die Podozyten als Filterbarriere dafür, dass große Moleküle wie Eiweiße im Blut bleiben und nicht in den Urin übertreten. Über Filterporen können aber kleine Verbindungen wie Wasser und Elektrolyte durch den Filter gelangen. Nephrin spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es stabilisiert die Struktur und Funktion der Filterbarriere und sorgt dafür, dass die Filterfunktion aufrechterhalten wird.
Anti-Nephrin-Antikörper sind sogenannte Autoantikörper. Das bedeutet, dass sie gegen ein körpereigenes Eiweiß gerichtet sind. Anti-Nephrin-Antikörper werden vom eigenen Abwehrsystem produziert und richten sich fälschlicherweise gegen Nephrin, welches am Podozyten liegt. Dadurch werden die Podozyten geschädigt. Wenn die Podozyten durch diese Autoantikörper angegriffen werden, wird die Filterfunktion der Nieren gestört.
03. Welche neuen Forschungserkenntnisse gibt es zu Anti-Nephrin-Antikörpern?
Die Forschung zu Nephrin begann in den 1990er Jahren, als Forschungsgruppen erkannten, dass dieses Eiweiß eine Schlüsselrolle in der Nierenfilterbarriere spielt. Besonders bedeutsam war die Entdeckung, dass Veränderungen im Nephrin-Gen bei bestimmten genetischen Nierenerkrankungen, wie dem kongenitalen nephrotischen Syndrom vom Typ Finnish (NPHS1), zu schwerer Proteinurie und Nierenschäden führen. Im Gegensatz zu vielen anderen angeborenen Formen des nephrotischen Syndroms kommt es auch nach der Transplantation in einigen Fällen zu einem Rückfall. Schon 2002 identifizierte man mögliche Antikörper gegen Nephrin als mögliche Ursache.
In den letzten Jahren verdichteten sich Hinweise, dass nicht nur genetische Veränderungen, sondern auch Autoantikörper, die sich gegen Nephrin richten, eine Schädigung der Nieren auslösen können. Ein Durchbruch war eine Arbeit einer amerikanischen Forschungsgruppe aus dem Jahr 2022, bei der Anti-Nephrin-Antikörper im Blut von Patientinnen und Patienten mit Minimal Change Disease und nephrotischem Syndrom nachgewiesen werden konnten.
Eine aktuelle und viel beachtete Studie aus dem Jahr 2024 konnte zeigen, dass diese Anti-Nephrin-Antikörper wahrscheinlich eine ursächliche Rolle bei der Entstehung der MCD spielen könnten. Die Forscher untersuchten Blutproben von 357 Erwachsenen mit einer Glomerulonephritis. Besonders interessant war die Gruppe von 105 Patientinnen und Patienten mit "Minimal Change"-Erkrankungen, einer Form der Glomerulonephritis, deren Ursache bisher unklar war. Bei 46 von 105 Personen (44 %) dieser Gruppe wurden Anti-Nephrin-Antikörper nachgewiesen. Weitere Analysen ergaben, dass bei einer kleineren Anzahl von Patientinnen und Patienten mit fokal segmentaler Glomerulosklerose (FSGS) sowie membranöser Nephropathie ebenfalls Anti-Nephrin-Antikörper gefunden wurden, wenn auch in deutlich geringerem Maße. Bei Kindern und Jugendlichen vor einer Behandlung mit Kortison hatten sogar über 90% Anti-Nephrin-Antikörper im Blut.
Interessanterweise wurden bei Patientinnen und Patienten mit anderen chronischen Nierenerkrankungen keine Anti-Nephrin-Antikörper gefunden. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass Anti-Nephrin-Antikörper spezifisch für bestimmte chronische Nierenerkrankungen sind, wie zum Beispiel die Minimal Change Disease.
Ein zentrales Ergebnis der Studie war der Nachweis eines klaren Zusammenhangs zwischen der Menge von Anti-Nephrin-Antikörpern im Blut und der Schwere des Krankheitsverlaufs. Die Forschungsgruppe stellte fest, dass ein Anstieg der Antikörpermenge mit einem stärkeren Proteinverlust über die Nieren einherging. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Anti-Nephrin-Antikörper direkt zur Schädigung der Nierenfilterbarriere beitragen und den Verlauf eines nephrotischen Syndroms bzw. einer MCD beeinflussen.
04. Was bedeuten die neuen Erkenntnisse für die Behandlung von Minimal-Change-Disease und nephrotischem Syndrom?
Die Entdeckung, dass Anti-Nephrin-Antikörper eine wichtige Rolle bei Minimal Change Disease spielen, könnte die Diagnose und Behandlung einiger chronischer Nierenerkrankungen grundlegend verändern. Ein Antikörper-Test könnte in Zukunft eine Diagnose der Minimal Change Disease ermöglichen, ohne dass eine Biopsie notwendig ist.
Durch die Messung von Anti-Nephrin-Antikörpern könnten Menschen mit Minimal Change Disease von personalisierten und maßgeschneiderten Behandlungen profitieren, die speziell auf die Unterdrückung der Autoantikörperbildung abzielen. Auch könnten Rezidive früher erkannt und behandelt werden.
05. In aller Kürze
Die genauen Ursachen und Mechanismen von Nierenerkrankungen wie der Minimal Change Disease (MCD) und dem idiopathischen nephrotischen Syndrom des Kindesalters sind noch nicht vollständig verstanden. Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass möglicherweise Anti-Nephrin-Antikörper eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Erkrankungen spielen könnten. Diese Entdeckung bietet vielversprechende Ansätze, um die frühe Erkennung und die Behandlung eines nephrotischen Syndroms zu verbessern. Dennoch ist weitere Forschung notwendig, um diese Zusammenhänge vollständig zu verstehen und gezielte Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Quellen:
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