Angeborene Formen des nephrotischen Syndroms
Kann ein nephrotisches Syndrom genetisch bedingt sein? Welche angeborenen Formen gibt es? Hier erfährst Du, wie sich die Nieren in der Schwangerschaft entwickeln, welche Formen des nephrotischen Syndroms bereits bei der Geburt oder in der frühen Kindheit auftreten können und wann ein genetischer Test sinnvoll ist.
01. Wie entwickeln sich die Nieren in der Schwangerschaft?
Die Entwicklung der Nieren beginnt bei uns Menschen in der fünften Schwangerschaftswoche. Der Embryo ist da noch nicht viel größer als ein Sesamkorn. Es gibt aber bereits eine Ansammlung von Nierenvorläuferzellen. In diese Ansammlung wachsen an beiden Seiten der unteren Wirbelsäulenanlage sogenannte Harnleiterknospen ein. Im Laufe der embryonalen Entwicklung teilen sich die Harnleiterknospen immer weiter baumartig auf. Dabei bilden sie das Urinsammelsystem und die funktionellen Einheiten der Nieren, die sogenannten Nephrone. Bei der Geburt ist der Prozess weitestgehend abgeschlossen. Neue Nephrone können später nicht mehr nachgebildet werden. Die meisten Menschen haben pro Niere rund eine Millionen Nephrone.
Schon vor der Geburt produzieren Nieren Urin
Die Nieren sind erst am Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels in der Lage, nennenswerte Mengen an Urin zu produzieren. Dieser vorgeburtliche Urin bildet einen Großteil des Fruchtwassers. Das Fruchtwasser umgibt und schützt das ungeborene Kind. Außerdem schluckt das Kind auch Fruchtwasser. Für die Entwicklung des Kindes ist das wichtig. Ohne Fruchtwasser ist beispielsweise die Lungenentwicklung häufig schwer beeinträchtigt.
Während der Schwangerschaft übernimmt der Mutterkuchen (Plazenta) noch die Filterfunktion der Nieren. Das bedeutet, die Plazenta filtert Schad- und Abfallstoffe aus dem kindlichen Blut heraus. Liegt bei dem ungeborenen Kind eine genetische Erkrankung der Nierenfilter vor, dann zeigt sich das deshalb erst nach der Geburt.
02. Wann machen sich angeborene Formen des nephrotischen Syndroms bemerkbar?
Angeborene Formen des nephrotischen Syndroms treten nur selten au. Meistens machen sie sich bereits im ersten Lebensjahr bemerkbar. Es kann aber auch sein, dass sie erst später auffallen, wenn das Kind schon etwas älter ist. Bei bestimmten Formen des angeborenen nephrotischen Syndroms kann es sogar sein, dass sie erst im Erwachsenenalter festgestellt werden. Angeborene Formen sind in der Regel chronische Erkrankungen. Das bedeutet, sie haben dauerhafte Auswirkungen auf die Gesundheit. Da ein hohes, beziehungsweise ein erhöhtes Risiko für eine Nierenfunktionsstörung besteht, ist dann eine lebenslange medizinische Betreuung erforderlich.
Die Bildung von funktionsfähigen Nierenfiltern kann durch verschiedene Faktoren gestört werden. Heute sind Veränderungen (Mutationen) in über 50 verschiedenen Genen bekannt, die sich darauf auswirken. Das kann dazu führen, dass bereits bei der Geburt ein nephrotisches Syndrom vorliegt. Fast alle Formen eines angeborenen nephrotischen Syndroms sind auf solche genetischen Mutationen zurückzuführen.
Nicht alle genetischen Formen des nephrotischen Syndroms verlaufen gleich. Der Verlauf hängt davon ab, welche genetische Veränderung vorliegt. So kann es etwa sein, dass keine funktionierenden Nierenfilter gebildet werden können (frühes Erkrankungsalter). Oder aber die Nierenfilter funktionieren zunächst, können dann aber mit zunehmendem Alter ihre Funktion nicht aufrechterhalten (variables Erkrankungsalter).
Je nachdem, in welchem Lebensalter die Erkrankung auftritt, können die Ursachen unterschiedlich sein:
Erkrankungsalter | Ursache |
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Erster Lebensmonat |
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Erstes Lebensjahr |
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Kindheit |
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Erwachsenenalter | Sehr vielfältige Ursachen sind möglich:
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03. Wann ist ein Test auf eine genetische Ursache sinnvoll?
Eine genetische Untersuchung beim nephrotischen Syndrom sollte in Betracht gezogen werden, wenn bestimmte klinische Merkmale oder Risikofaktoren vorliegen. Typischerweise wird eine genetische Untersuchung in folgenden Situationen empfohlen:
Frühes oder familiäres Auftreten: Wenn das nephrotische Syndrom bereits im ersten Lebensjahr auftritt, kann das auf eine genetische Ursache hinweisen. Sind bereits mehrere Familienmitglieder an einem nephrotischen Syndrom erkrankt, dann ist auch das ein Hinweis auf eine genetische Ursache, die möglicherweise vererbt werden kann.
Die Behandlung zeigt keine oder keine dauerhafte Wirkung: Wenn das nephrotische Syndrom nicht auf die übliche Behandlung anspricht oder nach einer erfolgreichen Behandlung wiederkehrt, kann das ein Hinweis auf eine genetische Ursache sein.
Zusätzliche klinische Merkmale in anderen Organen: Das Vorhandensein zusätzlicher klinischer Merkmale in anderen Organsystemen kann auf eine übergeordnete genetische Erkrankungsursache hinweisen. Dazu zählen bestimmte Veränderungen der Augen oder der Ohren mit Schwerhörigkeit.
Planung einer Nierentransplantation: Es gibt verschiedene genetische Veränderungen, die sich auf den Verlauf einer Nierentransplantation auswirken können. Eine genetische Untersuchung im Vorfeld einer Transplantation kann helfen, sie zu identifizieren. Dazu zählt beispielsweise die Veranlagung für das sogenannte Alport-Syndrom.
Eine genetische Untersuchung kann auch sinnvoll sein, um das Erkrankungsrisiko für andere Familienmitglieder zu bewerten. Die Entscheidung zur Durchführung einer genetischen Untersuchung sollte jedoch immer in Absprache mit einer Fachärztin oder einem Facharzt für (Kinder-)Nephrologie oder Genetik getroffen werden. Dadurch kann die individuelle Situation der Familie bestmöglich in die Entscheidung einfließen.
Was bringt ein genetischer Test?
Ein genetischer Test kann verschiedene Vorteile haben. Dazu zählen:
Klärung der Ursache: Das nephrotische Syndrom kann verschiedene Ursachen haben. Dazu zählen auch verschiedene genetische Veränderungen. Durch einen genetischen Test können diese Veränderungen entdeckt werden. Weitergehende Untersuchungen, wie etwa die Entnahme von Gewebsproben, können bei Kindern dann oft vermieden werden. Bei Erwachsenen ist eine Gewebeentnahme jedoch immer noch notwendig, da bei ihnen häufiger andere Erkrankungen ein nephrotisches Syndrom verursachen.
Personalisierte Behandlung: Wenn ein nephrotisches Syndrom genetisch bedingt ist, dann ist für die Behandlung hilfreich, die genaue genetische Veränderung zu kennen. Denn dann kann eine individuelle und gezielte Behandlungsstrategie für die Patientin oder den Patienten entwickelt werden. Eine gezielte Auswahl von Medikamenten und Therapien kann die Wirksamkeit der Behandlung verbessern. Teilweise gibt es zielgerichtete Medikamente, die im Rahmen von Studien getestet werden.
Risikoabschätzung für Familienmitglieder: Familienmitglieder von Menschen mit genetisch bedingtem nephrotischen Syndrom können ein erhöhtes Risiko haben, auch ein nephrotisches Syndrom zu entwickeln. Durch einen genetischen Test lässt sich abschätzen, wie hoch das Risiko für Familienmitglieder ist. Präventive Maßnahmen können dann helfen, das Risiko einer Erkrankung zu minimieren. Ein Beispiel hierfür wäre das Alport-Syndrom.
Fortschreiten der Erkrankung einschätzen: Bei einigen Menschen kann ein genetischer Test helfen, den Verlauf der Erkrankung besser abzuschätzen. Wie hoch ist das Risiko, dass in den nächsten Jahren eine Nierentransplantation notwendig wird? Wie hoch ist das Risiko, dass die Erkrankung nach einer Nierentransplantation wieder auftritt? Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Langzeitbetreuung notwendig wird? Ein genetischer Test kann helfen, das besser einzuschätzen.
Ein genetischer Test kann aber auch Nachteile haben. Das Testergebnis kann sehr belastend sein, beispielsweise bei erhöhtem Risiko zu erkranken oder bei einem voraussichtlich schweren Krankheitsverlauf. Auch kulturelle Gründe können zu einer individuellen Entscheidung gegen einen Test führen. Wer plant, eine private Krankenversicherung abzuschließen, sollte auch das vor einem Test bedenken. Denn bei Kenntnis einer genetischen Form des nephrotischen Syndroms mit schlechter Prognose muss man damit rechnen, dass eine Aufnahme verweigert wird.
Wie läuft ein genetischer Test ab?
Ein genetischer Test umfasst in der Regel mehrere Schritte. Hier ist eine grobe Übersicht über den Ablauf:
Körperliche Untersuchung und Anamnese: Die Ärztin oder der Arzt erfasst dabei zunächst die familiäre und medizinische Vorgeschichte. Außerdem werden Beschwerden und verschiedene körperliche Merkmale, die auf eine genetische Ursache hinweisen könnten, in den Blick genommen.
Genetische Beratung: Vor einem genetischen Test wird in der Regel eine genetische Beratung angeboten. Warum ist ein Test sinnvoll? Welche Ergebnisse kann ein Test haben? Welche psychologischen und sozialen Auswirkungen können mit den Ergebnissen verbunden sein? Das erklärt eine Expertin oder ein Experte bei der Beratung. Im Anschluss kann man sich dann für oder gegen einen genetischen Test entscheiden.
Auswahl des Tests: Es gibt verschiedene Gentests. Sie unterscheiden sich darin, wie viele Gene betrachtet werden. Das kann nur ein Gen sein oder eine Gruppe von Genen. Es gibt auch die Möglichkeit, alle Gene, die Eiweiße kodieren, zu betrachten. Das nennt man einen Exomtest. Die Auswahl erfolgt anhand der individuellen Ergebnisse der körperlichen Untersuchung und Anamnese.
Probenentnahme: Für die genetische Testung genügt meistens eine Blutprobe oder eine Speichelprobe. Nur sehr selten ist es notwendig, eine Gewebeprobe zu entnehmen
Laboranalyse: Die Proben werden an ein spezialisiertes Labor geschickt, das die genetische Analyse durchführt.
Interpretation der Ergebnisse: Die Daten aus der Laboranalyse werden von Fachärztinnen und Fachärzten für Humangenetik systematisch ausgewertet. Dabei können genetische Veränderungen, die ein nephrotisches Syndrom verursachen können, identifiziert werden.
Ergebnismitteilung und genetische Beratung: Wenn die Analyse abgeschlossen ist, werden die Ergebnisse der Patienten oder dem Patienten mitgeteilt und erklärt. Oft findet auch eine weitere genetische Beratung statt.
Hinweis: Ein genetischer Test kann sehr komplexe Informationen liefern. Auch kann es sein, dass die Ergebnisse nicht eindeutig sind. Wenn bei Dir ein genetischer Test durchgeführt wurde und Du Fragen zu dem Ergebnis hast, dann sprich das bei Deiner Ärztin oder Deinem Arzt an. Du kannst auch eine genetische Beratung in Anspruch nehmen.
04. In aller Kürze
Das nephrotische Syndrom kann durch verschiedene genetische Veränderungen verursacht werden. Es gibt genetische Tests, mit deren Hilfe sich feststellen lässt, ob bei einem Menschen diese genetischen Veränderungen vorliegen.
Angeborene Formen des nephrotischen Syndroms können bereits von Geburt an oder in der frühen Kindheit auftreten und haben oft dauerhafte Auswirkungen auf die Gesundheit. Tritt das nephrotische Syndrom bei älteren Kindern oder Erwachsenen auf, dann ist es wahrscheinlicher, dass die Ursache nicht genetisch bedingt ist.
Ein genetischer Test sollte in Betracht gezogen werden, wenn bestimmte klinische Merkmale oder Risikofaktoren vorliegen, wie zum Beispiel ein frühes oder familiäres Auftreten der Erkrankung oder wenn die Erkrankung nicht auf die Behandlung anspricht. Vor einem genetischen Test gibt es die Möglichkeit, eine spezielle genetische Beratung in Anspruch zu nehmen.
05. Zum Weiterlesen
Uniklinik Köln: Spezialsprechstunde Nierenerkrankungen.
Uniklinik Heidelberg: human-genetische Sprechstunde (Erklärvideos).
Quellen
Kidney Disease (2021). Improving Global Outcomes (KDIGO). KDIGO 2021 Clinical Practice Guideline for the Management of Glomerular Diseases. Kidney International, 100(4S), 1-276. doi:10.1016/j.kint.2021.05.021
DeVriese, A. S. et al. (2018). Differentiating Primary, Genetic, and Secondary FSGS in Adults: A Clinicopathologic Approach. Journal of American Society of Nephrology, 29(3), 759-774. doi: 10.1681/ASN.2017090958
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